Die Sage vom Einaug

 
Der Einaug von Scharfeneck

Ritter Einaug von Scharfeneck war ein gar schlimmer Geselle. Raub, und wenn es gerade sein mußte, auch Mord dünkten ihm nichts Übles. Schon sein finsteres Antlitz mit dem einen Auge ließ es ahnen, daß hinter der gefurchten Stirne ein böser Geist wohne.

Eines Tages gedachte der Ritter einen guten Fang zu tun. Es war schon Abend, als er seinen stärksten Knecht nahm und mit ihm gen Schloß Ramberg ritt. "Hörst du", sagte Einaug zu seinem Burschen, "der von Ramberg hat große Reichtümer. Um Mitternacht schleicht du in sein Gemach, erstichst ihn und leerst die Kisten und Kasten oben an seinem Bette! Ich haue unterdes die Wache im Hofe zusammen und lasse die Zugbrücke nieder."

Die beiden Schnapphähne wurden auf Ramberg freundlich aufgenommen und vom Schloßherrn nach Ritterart bewirtet. Rasch verflogen die Stunden, und man begab sich endlich zur Ruhe. Der fromme Ritter von Ramberg konnte indes selbige Nacht nicht schlafen. Er wußte selbst nicht, was ihn die Augen offen hielt, und ging deshalb in die Burgkapelle, um zu beten, daß der Herr ihn vor Unheil bewahre.

Zur selben Zeit schlich des Einaugs Knecht in das Gemach des Burgherrn, fand aber das Bett desselben leer. Er glaubte irre zu sein und ging in das nächste Zimmer, wo jemand tief schnarchend  dalag. Sogleich stieß der Bube dem Schlafenden das Schwert in die Brust und suchte dann nach dem Schatze. Während er noch umhertastete, kam Ramberg leise im Nachtkleide in sein Schlafgemach zurück. Da dünkte ihm, er höre ein Geräusch. Sogleich ergriff er sein Schwert, ging vorsichtig dem Geräusche nach und fand den Knecht, den er überfiel und entwaffnete.

Nun ergab sich, daß der Mordgeselle seinen eigenen Herrn erstochen hatte, und das Geständnis des Missetäters zeigte dem Herrn von Ramberg ferner, welch großer Gefahr er entgangen war. Ergriffen verzieh er dem Mörder; doch gab er ihm bei seiner Entlassung die eindringlichsten Ermahnungen. Mit Einaug aber hatte Gott gesprochen.

Das Volk kennt ihn jetzt noch unter dem Namen Schlosser oder Mantel und hat ihn schon oft gesehen. Einmal treibt er als wilder Jäger sein Unwesen, ein andermal schreckt er nächtliche Wanderer und führt sie irre. Besonders häufig zeigte er sich den Pottaschesiedern von Dernbach, wenn sie nachts am Schloßberg Holz frevelten. In schwarzem Mantel und mit breitem Kremphut stand er plötzlich vor ihnen und sie sahen ihn, wie er riesengroß emporwuchs, so daß sie vor Angst ihr Holz abwarfen und flohen. Dann stieß er entweder ein lautes Hohngelächter aus oder ließ sich von den Männern noch eine Strecke auf den Schultern tragen, daß diese schweißtriefend ins Dorf kamen.
 

 
Auszug aus: Pfälzische Sagen von F.W. Hebel
E. Lincks-Crusius Verlag 1966
 

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