In hundert Jahren

Die künftige Energieversorgung der Welt, beschrieben im Jahre 1931




Mit freundlicher Genehmigung des Kosmos Verlags entnommen von Seiten 1-44 aus:
Günther, In hundert Jahren
(c) 1931, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Vorwort:
Die nachfolgende Beschreibungen für die zukünftige Energiegewinnung wurde im Jahre 1931 von Hanns Günther in einem Kosmos-Bändchen niedergeschrieben. In kurzen Auszügen will ich die Gedanken von damals wiedergeben.

 

1. Die Welt ohne Energie
Im Jahre 1913 fand ein großer internationaler Geologen-Kongress statt. Von den vielen Berichten die dort erstattet wurden galt einer der wichtigsten den Kohlenvorräten der Erde. Zahlen werden gewöhnlich als trocken empfunden. Hier zeigte sich wieder einmal, dass sie auch erregend sein können, denn hinter dürren Statistik der Kohlenförderung und Kohlelager erhob sich plötzlich drohend und mahnend das Gespenst einer künftigen Kohlennot. Die uns bekannten Steinkohlelager - hieß es - würden, bis 1800 m Tiefe abgebaut, beim gegenwärtigen Kohleverbrauch noch für 6000 Jahre reichen! Nun sind wir leider nicht imstande die ganze Menge nutzbar zu machen. [...] Vielmehr reichen wir im günstigen Falle aller Wahrscheinlichkeit nach mit der uns bekannten nutzbaren Kohle noch 1500 Jahre.
[...]
Also gilt es, die Kohle aus unserer Energieversorgung auszuschalten und sie mit größtmöglicher Beschleunigung durch andere Energieträger zu ersetzen.
Wenn man dieses Ersatzproblem des näheren überlegt, stößt man von selbst zuerst auf die Wasserkraft, die ja in kohlenarmen Ländern - die Schweiz und Skandinavien z.B. - im Kraftwerksbetrieb längst die Kohle verdrängt hat.

 

2. Pläne ums Mittelmeer
Durch die Strasse von Gibraltar z.B. fließen in jeder Sekunde 88.000 m³ Wasser aus dem Atlantik ins Mittelmeer. Daraus lassen sich, wenn man das Niveau des Mittelmeers um 200 m senkt, gut und gern 160 Mil. PS gewinnen. Auf diese Möglichkeit hat als erster Hermann Sörgel hingewiesen, dessen Panropa-Projekt man zurzeit allerwärts stark diskutiert. [....] Ziel dieser Arbeit soll die Ausnutzung der im Mittelmeer schlummernden Wasserkräfte und eine Neulandgewinnung an der Mittelmeerküste wie in Nordafrika sein. [...]

Die Strasse von Gibraltar mit dem von Sörgel vorgeschlagenen 29 km langen Staudamm, der den Zufluss zum Mittelmeer sperren und zugleich die Erzeugung von 160 Mil. PS in zwei Riesenkraftwerken ermöglichen soll.

Auf ganz anderen Überlegungen fußt ein französisches Projekt zur Energiegewinnung aus dem Mittelmeer, dessen Urheber Pierre Gandrillon heißt. Seinem Umfang nach reicht es bei weitem nicht an den Panropaplan heran, aber technisch ist es eher noch besser fundiert, da es sich heute schon jederzeit ausführen lässt. Die physikalische Grundlage ist sehr einfacher Art und leicht zu begreifen. Denken wir uns einmal zwei Wasserbehälter, einen in Meereshöhe, der andere auf einem Berge. Dann können wir durch Verbindung beider ein Gefälle herstellen, das genau so unerschöpflich ist wie ein natürlicher Wasserfall und sich genau so gut zur Energie-erzeugung eignet, wenn es gelingt, zwei Vorbedingungen zu erfüllen: der höher gelegene Behälter muss unerschöpflich sein und dem tieferen Becken zugeführte Wassermenge muss im gleichen Tempo von dort verschwinden. [...]

Riesige Pumpen schöpfen das Wasser aus dem Meer und drücken es durch Steig-leitungen in das Zwischenbecken. Von hier stürzt es durch Fallrohre auf die Turbinen eines Kraftwerkes hinunter, um dann in das große Verdunstungsbecken zu gehen. Ist das Gefälle größer als die von den Pumpen zu überwindende Höhendifferenz, so braucht man zum Antrieb der Pumpen nur einen Teil der erzeugten Energie, während der Rest zur freien Verfügung steht.
Diesen Gedanken wendet Gandrillon auf die Verhältnisse im Jordantal an, das in der Höhe des Tiberias-Sees vom Mittelmeer durch einen rund 50 km breiten Landstreifen getrennt ist.

 

3. Wird es einst Wellenkraftwerke geben?
[...] Hier zunächst ein paar Worte über die Wasserwellen. Ihr Energiegehalt tritt vor allem dort auf, wo sie als brüllende Brandung gegen felsige Küsten brausen, stark genug, große Schiffe zu packen und zu zerschmettern. In solchen Brandungswellen treten zeitweise ganz unvorstellbare Kräfte auf. Der Engländer Stevenson hat sie zu messen versucht und dabei Drücke von 15-30 t auf den m² Küste gefunden. Rechnet man auf dieser Grundlage  weiter, so findet man, dass durch ihre starke Brandung bekannte Westküste Frankreichs, bei einem einzigen kräftigen Windstoß von einer Welle getroffen wird, deren Bewegungsenergie der Arbeits-leistung von 100 Mil. PS entspricht.
Es gibt die Möglichkeit die Energie der Meereswellen zu gewinnen. Darauf stützt sich das amerikanische Projekt, das einzige augen-scheinlich, das von einigermaßen sachverständigen Seite stammt. Um es zu verstehen, müssen wir einwenig weiter ausholen. Und zwar knüpfen wir am besten an eine bekannte Erscheinung an: den scharfen Knall den man hört, wenn man den Hahn einer Wasser-leitung sehr schnell schließt. Dieser Knall rührt davon her, dass die durch das Schließen des Hahnes plötzlich gestoppte Wasser-strömung die ihr innewohnende Energie nun als Stoß gegen die Rohrwandungen abgeben kann. Hat aber die Leitung in der Nähe des Hahnes eine undichte Stelle, so äußert der Rückstoß sich auf andere Weise: im Augenblick des Hahnschlusses spritzt das Wasser hier in hohem Strahle aus der Leitung heraus.[...]
Die Abbildung stellt die Einrichtung schematisch dar. Ein aus einem großen Wasser-behälter gespeistes, ziemlich weites Fallrohr ist am unteren Ende durch ein Ventil geschlossen. Der Ventilkörper V ist so schwer, dass der Druck der ruhenden Wassersäule nicht ausreicht ihn zu heben. Also bleibt das Ventil offen und das Wasser strömt heraus. Nach kurzer Zeit aber wird die ja schnell zunehmende Strömungsgeschwindigkeit so groß, dass das Wasser den Ventilkörper in die Höhe reißt. Dadurch wird das Ventil geschlossen und der Ausfluss gestoppt. Die Folge ist ein starker Rückstoss im Fallrohr, unter dessen Wirkung sich das Ventil Z in der Wandung des Fallrohres öffnet. Durch diese Öffnung strömt dann ein Teil des Wassers mit großer Geschwindigkeit in den Kessel W. Dadurch wird hier die Luft zusammengepresst und das Wasser in das senkrecht nach oben führende Steigrohr getrieben. Hat der Rückstoß die ihm innewohnende Energie auf diese Weise abgegeben, so schließt das Ventil Z unter der Last des auf ihm ruhenden Wassers wieder.

 

4. Ebbe und Flut im Dienst
[...] Dass in der Bewegung so großer Wassermassen ein ganz ungeheuerer Energievorrat steckt ist selbstverständlich. Versuche seinen Werte wenigstens annähernd zu berechnen zeigen, dass die Gezeiten nach der Sonnenstrahlung die größte Energiequelle sind. Ihr Jahresarbeitswert ist auf die unvorstellbare Höhe von 11 Trill. PS veranschlagt worden.


Vogelschaubild der Mündung des Severn mit dem geplanten Flutkraftwerk.

Schnitt durch den Staudamm eines Gezeitenkraftwerks mit dem im Damm eingebauten Maschinenhaus und den Hilfsanlagen.
 

5. Gefesselte Zyklone
[...] Könnten wir die Luft einmal für einen Augenblick in Wasser verwandeln und sie so sichtbar machen, so würde jeder sehen was die Meteorologen und Flieger schon lange wissen: dass das ganze Luftmeer um uns her zu einem guten Teile Strom, Strudel, Wirbel ist. Und wir könnten in dieser heute für uns unsichtbaren Welt kaum einen Schritt tun, ohne überall "aufsteigende Wasserfälle" zu treffen. Da nun so viele wirkliche Wasserfälle ausgenützt werden, ist es durchaus logisch, auch an eine Ausnützung der aufsteigenden Luftströme zu denken. [...]
Man nimmt dazu ein etwa 1000 m langes, beiderseits offenes Rohr und lehnt es in einer recht heißen Gegend - etwa der Sahara - so steil wie möglich an eine Bergflanke. Am unteren Ende wird das Rohr zu einem riesigen Trichter erweitert, der praktisch die Form eines großen flachen Glashauses hat, das - von der Sonnenstrahlung geheizt - wie ein mächtiger Schwitzkasten die Lufttemperatur auf einen Höchstwert steigert.

 

6. Die Türme des Windes
Da die Dubosschen Windkraftwerke an jene Gebiete gebunden sind wo die Sonnenstrahlung ihren Höchstwert erreicht, lassen sie sich in Europe höchstens im tiefen Süden verwenden. Für die kälteren Länder muss man sich also nach anderen Methoden umsehen, wenn man auch dort die Windkraft zur Energiegewinnung heranziehen will. Im kleinen geschieht das ja gerade in Nordeuropa schon seit langer Zeit, denn die Niederlande und Norddeutschland sind wohl die Heimat der Windmühle anzusprechen. Dass die alte Windmühle keine brauchbare Windmaschine ist weiß jeder. [...] Alle bisher vorliegenden Konstruktionen haben dieselbe Grundlage: der Wind treibt einen mehrflügligen Propeller, ein Verfahren, dessen Spiegelbild das Arbeiten des Venti-lators ist. In der Theorie ist der Vorgang klar und einwandfrei; die Überführung in die Praxis macht jedoch allerlei Schwierigkeiten. Zunächst ist es notwendig den Propeller auf der Spitze eines hohen Gerüsts anzuordnen und zwar frei, so dass er allen Unbilden der Witterung ausgesetzt ist. Dann muss man das schwere Windrad bei jeder Änderung der Windrichtung entsprechend drehen. Weiter ist es erforderlich, die Drehung der Propellerwelle durch ein Gestänge bis zum Boden zu übertragen, woraus sich ein starker Energieverlust ergibt. [...] Alles das zeigt klar, dass auf dieser Basis niemals wirkliche Windkraftwerke geschaffen werden können. Will man dazu kommen, so muss man andere, bisher unbetretene Wege suchen. [...] Die Aufgabe wurde gelöst und zwar mit dem unerwarteten Erfolg, dass die Versuchsanlage sich bei der Erprobung zugleich als ideale Windkraftmaschine erwies, mit einem Wirkungsgrad von fast 100%. Abb. 16 verdeutlicht die Einrichtung, die außen keine beweglichen Teile hat. Von außen sieht man nämlich nichts als ein turmartiges, zylindrisches Rohr, eine Art Schornstein aus Eisenblech. [...] Gleichviel aus welcher Richtung der Wind kommt und unter welchen Winkel er angreift, das Ergebnis ist immer dasselbe: ein senkrechter Luftstrom in dem zylindrischen Turm.

 
 
Auszug und Bilder aus: Kosmos-Bändchen "In hundert Jahren" von Hanns Günther
Ausgabe: 1931 Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde
Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
 

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