Neustadt an der Haardt (Weinstr.)

beschrieben im Jahr 1857

  
Wir steigen in dem hübschen Bahnhofe aus und wandern durch die Stadt, dem "Löwen" oder dem "Schiffe" zu, wo wir gegen gutes Geld gut aufgehoben sind. Beides sind treffliche Gasthöfen mit allen komfortablen Einrichtungen großer städtischer Hotels.
Es gibt nicht leicht eine Stadt, die für Fremde und Besucher von Naturschönheiten günstiger gelegen wäre als Neustadt, mitten drinnen in der herrlichen Haardt, am Ende und Rand der fruchtreichen Rheinebene, am Eingange in das Haardtgebirge mit seinen wildromantischen Tälern, die sich von hieraus am leichtesten besuchen lassen.
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Neustadts Lage selbst ist vorzüglich schön und die grünen Weinberge, das tiefe Tal, die nahen Burgen, die waldigen Berge und die schönen Landsitze geben der Gegend eine reizende Mannigfaltigkeit, in der Romantik und Idylle, Geschichte und Gegenwart in uns einen angenehmen Wechsel der Stimmungen erwecken. Das Innere der Stadt ist dagegen freilich minder schön, die engen, unebenen Straßen bieten auch nicht einmal viel architektonisches Interesse und der merkwürdigen Gebäude sind ziemlich wenige, aber die Straßen sind belebt und man bemerkt bald eine ungemeine Rührigkeit in der winkligen, ja finsteren Stadt, die ihrem Namen "Neustadt" nicht entspricht.
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Ja, wenn irgendwo, so konzentriert sich in Neustadt an der Haardt pfälzisches Wesen. Wenn nun der Pfälzer das Prototyp für die westdeutschen und rheinischen Bevölkerungen, der Haardtbewohner wieder für die Pfälzer selbst und der Neustadter für die Leute an der Haardt liefert, so potenziert und konzentriert sich im Neustadter eine Lebhaftigkeit des Charakters, der dem übrigen Deutschland völlig fremd ist. Das drückt sich schon in seiner Weise zu reden aus und nirgends sind so viele drastische Redefiguren im Schwung als in der Pfalz und vor allem in Neustadt. Dabei nimmt er es mit Flüchen und Beteuerungen nicht so genau und "krieg' die Krenk!" und "der Teufel soll mich holen" fährt bei jedem Satze ohne Anlaß heraus. Gar häufig ist ein freudiges: "Jetzt soll dich das Dunnerwetter - bist du da!" der freundlichste Gruß beim Zusammentreffen von Bekannten, die sich Jahre lang nicht gesehen. Eine derbe, aber immerhin noch gutmütige Ungeniertheit, ein Hand zur Satyre und zum "Utz" ist ziemlich allgemein. Besonders aber wird den Fremden die Masse von ironisch gemeinten  Sätzen und Ausdrücken im ganz gewöhnlichen Leben überraschen, wo der Pfälzer stets gerade das Gegenteil von dem sagen will, was er dem Wortlaut nach sagt, was in der Betonung der Wörter liegt. Das "Ei jo!" will dann  "Ei nein!" heißen. Solcher ironisch gemeinte Sätze mischt der Pfälzer so viele in seine - ohnehin drastische Wendungen und Kürzen liebende, an Wort- und Satzbildern, an Sprichwörtern und Redefiguren reiche Sprache, daß es Fremden gegenüber nicht selten zu Mißverständnissen kommt.
Der Pfälzer und als sein Repräsentant der Neustadter hat immer eine große Meinung von seiner eigenen Person und eigenen Weisheit und so wie er's tut und denkt, ists sicherlich am besten getan und gedacht. Die Schwaben und Bayern hält er für gleich gescheit, d. h. er hält wenig auf den Verstand der Überrheiner und lacht sie gerne aus, aber er utzt auch den gutmütigen, stillen Westricher und singt ihm spöttisch seinen Dialekt nach und der Oberländer erreicht in seiner Meinung auch noch lange die Bildungshöhe nicht, auf der er selbst steht. Es wohnt wirklich viel praktische Weisheit in der Pfalz, vor anderm an der Haardt und sicherlich in Neustadt ein ganz besonderer  Teil, aber die Neustadter glauben doch alle Weisheit allein gepachtet zu haben und jeder für sich meint, er hätte den besten Teil davon. "Es gibt viele gescheite Pfälzer, in Neustadt sind sie alle gescheit und ich bin doch eigentlich der gescheiteste!"
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Der Pfälzer glaubt steif und fest, daß er das reinste Deutsch spreche und der Pfälzer Bauer sagt um dies zu beweisen, daß er die Schwaben nicht verstehe, aber von ihnen verstanden werde; die Schwaben sollen nämlich sagen: "so (pfälzisch) red't der Pfarrer uff de Kanzel!" Freilich macht der Pfälzer auf seinen Stolz selbst Satyren, indem er erzählt, daß die "pfälzisch Sprooch" die "Ursprooch" sei, denn als der Walfisch den Propheten ans Land spie, gingen zwei pfälzische Matrosen vorbei, wovon der eine sagte: "Der isch awer naß!" "Der isch jo naß!" versetzte der andere und davon behielt der Prophet den Namen Jonas. - Daß die Pfalz das ursprüngliche Paradies war, geht schon aus diesem Beispiel hervor, noch mehr aber daraus, daß der Teufel den Herrn Christus aufs Hambacher Schloß führte und ihm die Herrlichkeit des Landes zeigte; als er es ihm anbot, wenn er ihn anbetete, sagte der Herr "B'halt's!", d. i. Behalt es! und seitdem heißt's Pfalz oder wie die Pfälzer sagen "Palz"!
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Unter den wenigen hervorragenden Gebäuden ist die Stiftskirche das sehenswerteste. Sie soll schon im zehnten Jahrhundert begonnen, aber erst viele Jahrhunderte nachher vollendet worden sein. Die beiden ungleichen Türme wurden vom Pfalzgrafen Johann Kasimir Ende des 16. Jahrhunderts erbaut. Dieser selbst in seiner Zusammensetzung noch immerhin hübsche gotische Bau ist durch eine steinerne Wand im Innern für Katholiken und Protestanten geschieden. Die Vorhalle oder das Paradies zeigt noch kenntliche Fresken. Die Grabmäler einiger Pfalzgrafen und Pfalzgräfinnen und das des in Oppenheim gestorbenen Kaisers Ruprecht befinden sich hier. Letzteres wurde im französischen Revolutionskriege beschädigt, wie denn auch die 99 Zentner schwere Glocke der Kirche damals geraubt wurde.
Das Rathaus am Marktplatze biete heute nur wenig Interesse. Früher enthielt es in seinem großen Saale die Porträts der Kurfürsten von der Pfalz und das der schönen Kunigunde Kirchner, der holdseligen und edlen Tochter des kurpfälzische Kanzlers in Neustadt.
Als nämlich in dem entsetzlichen Mordbrennerkriege der Franzosen in der Pfalz der Marschall d'Huxelles nach tapferer Gegenwehr der Bürger die Stadt erobert hatte, die Mauern niederreißen ließ und den Befehl gegeben hatte, die Stadt gleich allen andern in der Pfalz niederzubrennen, da ward Neustadt durch den Patriotismus jenes Mädchen gerettet. Der französische Kriegskommissär de Werth liebte dasselbe, aber sie machte die Erhaltung ihrer Vaterstadt zur Bedingung ihrer Hand, worauf de Werth die Schonung Neustadts bei den französischen Generalen bewirkte und in beglückter Ehe Kinder zeugte, deren letzte Nachkommen noch kurz vor der Revolution lebten. De Werth war Prätor von Landau.
Im Kasimirianum, einem altfränkischer Bau aus der Renaissancezeit, befindet sich heute die lateinische Schule.
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Ein schlimmeres Unglück ruft uns der Marktplatz selbst ins Gedächtnis zurück. Es war Anno 1525 im Sommer, als die aufgestandenen Bauern der oberen Haardt alle Schlösser in Asche legend auch das Hambacher Schloß oder die Kästenburg erstiegen und dann sich auf den Viehberg vor Neustadt legten, sowie nach Winzingen und in die Haardt. Die alte Wolfsburg hinter Neustadt im Tal und Burg Winzingen wurden gestürmt und nun erschracken die Neustadter, öffneten die Tore und schwuren samt dem pfälzischen Vogt dem Kurfürsten den Eid ab und den Bauern zu, deren Hauptleute in der Stadt ihr Feldlager aufschlugen. Darum zog auch der Kurfürst Ludwig der Friedfertige nach der schrecklichen Niederlage der Bauern bei Pfeddersheim zürnend vor Neustadt und lag hier zwei Tage still. Alle Freiheiten der Stadt wurden ihr genommen, ihre Waffen geraubt und sie selbst mit 4000 Goldgulden gebüßt. Auf dem offnen Markt aber stand des Kurfürsten Scharfrichter und schlug acht Bürgern die Köpfe ab, sowie mehreren Rädelsführern aus den umliegenden Dörfern.
Auch im 30jährigen Krieg litt die Stadt entsetzlich und die Hungersnot in dieser herrlichen Gegend war so groß, daß Wachen auf dem Kirchhofe ausgestellt werden mußten, damit die Leichen nicht ausgegraben würden.
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Im französischen Revolutionskriege wütete hier der kleine Robespierre Rougemaitre, der die Einwohner zwang, selbst ihr Vieh nach Landau zu treiben und auf ihr Flehen antwortete: "Wenn eure Weiber und Töchter einmal mit unsern Nationalgarden bekannt sein werden, werden sie euch schon Milch geben!"
In neuester Zeit rumorte es in Neustadt, besonders in den dreißiger und vierziger Jahren. Im Jahre 32 war hier ein gar bewegtes Leben, als besonders von Neustadt aus das große Hambacherfest geleitet wurde. Wirth und Siebenpfeiffer, die Helden jener Tage, Lohbauer und Hochdörfer, ja sogar Börne und der Friese Harro Harring, der die Freiheitsliedlein ins Land hinaus fliegen ließ, welche noch lange nachher in der Pfalz gesungen wurden, - weilten damals hier und mit ihnen eine ungeheuere Menschenzahl, die zum erstenmale wieder die deutschen Farben trug. 
Ein eben so bewegtes Leben brachte das Jahr 1848 und 1849, wo ja Neustadt das Hauptquartier der pfälzischen Revolutionsheeres war. - Seitdem ist Ruhe im Lande und leider büßen viele Pfälzer noch heute in der Verbannung und im Kerker. 

 
Auszug aus: Die Pfalz und die Pfälzer von August Becker
Erstausgabe: 1858
 
Bild aus: Pfälzer Volkskunde von Albert Becker
Ausgabe: 1925 Kurt Schroeder Verlag
 
Das Hambacher Lied
Hinauf, Patrioten, zum Schloß, zum Schloß!
Hoch flattern die deutschen Farben;
Es keimet die Saat und die Hoffnung ist groß,
Schon binden im Geiste wir Garben.
Es reifet die Ähre mit goldnem Rand,
Und die goldne Ernt’ ist das – Vaterland.
......

Freiheitslied
Es leuchten drei freundliche Sterne
weit aus dem Hambacher Schloß
Sie leuchten hin über ganz Deutschland
erweckend, erwärmend und groß
 
Die Sterne sind Vaterland, Freiheit
echt deutsche hochherrliche Ehr´
Die tragen noch Männer im Herzen
sonst leuchten die Sterne nicht mehr

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